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Bund stellt 659 Millionen Euro zur Verfügung – und der AfD nichts

Die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung geht leer aus. Die anderen im Bundestag vertretenen Parteien beschlossen, dass sie dieses Jahr keine staatliche Förderung erhält. Dafür haben sie eine neue Regelung geschaffen – doch die ist rechtlich umstritten.

 

Ab diesem Jahr sollte die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) erstmals Steuergelder erhalten – doch daraus wird wohl nichts. Zwar hat eine Partei Anspruch auf Förderung der ihr nahestehenden Stiftung, wenn sie zweimal hintereinander mit Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen ist. Aber der erhoffte Geldsegen bleibt aus. Der Grund: Kurz vor der Verabschiedung des Bundeshaushalts 2022 haben die Ampel-Fraktionen mit Zustimmung von Union und Linken eine zusätzliche Regel für die politischen Stiftungen eingeführt. Das geht aus einem Vermerk des Haushaltsausschusses vom Mai hervor, der WELT vorliegt. Darin heißt es: „Zuschüsse dürfen nicht gewährt werden, wenn begründete Zweifel an der Verfassungstreue von Organen oder Beschäftigten bestehen.“ Es ist quasi ein Beschluss der anderen im Bundestag vertretenen Parteien in eigener Sache. Förderungswürdig sind demnach nur die sechs Stiftungen, hinter denen sie stehen und die große Namen wie Konrad Adenauer im Titel tragen. Aufgrund ihrer bisherigen Tätigkeit für die politische Bildung wird laut dem Vermerk „angenommen“, dass sie die Zuschüsse zu verfassungskonformen Zwecken verwenden.

DES-Chefin Erika Steinbach, die früher lange der Unionsfraktion im Bundestag angehörte, sagte auf Anfrage dazu: „Der Haushaltsausschuss hat sich zum Richter über unsere Verfassungsmäßigkeit gemacht, was ihm nicht zusteht.“ Ihre Stiftung habe für 2022 einen Förderanspruch von rund sieben Millionen Euro. Der frühere Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) ist der Vorsitzende des Ausschusses. Wie er den Ausschluss der DES erklärt? Einen Fragenkatalog von WELT wollte er nicht beantworten. Dazu gehörte etwa die Frage: Wie bewerten Sie die Entscheidung, der DES keine Zuschüsse zu gewähren? Braun ließ über sein Büro ausrichten, der Antrag für den Ausschluss sei „Sache der Regierungsfraktionen“. Diesen hat er allerdings selbst unterstützt.

Rechtsanwalt Ulrich Vosgerau hatte für die AfD bereits im Februar einen Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht eingereicht – wann darüber entschieden wird, ist derzeit noch nicht absehbar. Es ist der dritte Anlauf von Stiftung und Partei, staatliche Fördergelder für die DES einzuklagen – die anderen beide Male waren sie an prozessualen Hürden gescheitert. Vosgerau sagte WELT, der Bund sei zur Förderung der DES verpflichtet, „weil er auch alle anderen nahestehenden Stiftungen der im Bundestag vertretenen Parteien fördert“. Das Bundesverfassungsgericht hatte 1986 zur Verteilung staatlicher Gelder an parteinahe Stiftungen entschieden, der grundgesetzliche Gleichheitssatz gebiete es, „dass eine solche Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt“.

Für den Ausschluss der DES von der staatlichen Förderung brauche es einen sachlichen Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt, erklärt der Kölner Staatsrechtler Markus Ogorek, der selbst für die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung ehrenamtlich tätig ist. „Ein solcher würde erst vorliegen, wenn man der DES nachweisen könnte, verfassungsfeindlich zu sein“, sagt er. Dabei handele es sich aber um eine „hohe Hürde, die dezidierter und umfangreicher Tatsachendarlegungen bedarf“. Anhaltspunkte könnten entsprechende Äußerungen von Parteifunktionären und die Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als „Verdachtsfall“ sein. Die DES selbst wird aber nicht beobachtet. Das aktuelle Vorgehen der anderen Parteien steht Ogorek zufolge „auf tönernen Füßen und birgt die Gefahr einer gerichtlichen Niederlage einschließlich der Verpflichtung, Nachzahlungen in Millionenhöhe leisten zu müssen“.

Auch die Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall kommt in ihrem Papier mit dem Titel „Politische Bildung von Rechtsaußen“ zu dem Ergebnis, dass die DES nach geltender Rechtslage „gute Chancen hat, eine Förderung vor Gericht durchzusetzen“. Ganz anders beurteilt dies hingegen das vom Bundestag finanzierte Deutsche Institut für Menschenrechte. In seinem Gutachten vom Mai heißt es, die DES sei „eng verwoben“ mit Akteuren der sogenannten Neuen Rechten und verbreite auch selbst rechtsextremes Gedankengut. Eine Förderung sei daher nicht mit der Menschenwürdegarantie und den Internationalen Übereinkommen gegen rassistische Diskriminierung vereinbar.

Teile der Linkspartei werden allerdings auch als „verfassungsfeindlich“ eingestuft. Die „Kommunistische Plattform“, die „Antikapitalistische Linke“ oder das trotzkistische Netzwerk „marx21“ gehören laut Verfassungsschutz zu extremistischen Strukturen, die einen revolutionären Umsturz wollen. Nach der jetzt beschlossenen neuen Regel müssten der Rosa-Luxemburg-Stiftung deshalb die Mittel in zweistelliger Millionenhöhe gestrichen werden, verlangt die DES-Chefin Steinbach. Insgesamt erhalten die parteinahen Stiftungen, die größtenteils eigentlich eingetragene Vereine sind, aus dem Bundeshaushalt in diesem Jahr nach Recherchen von WELT 659,2 Millionen Euro. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 2,7 Prozent. Doch in den letzten zehn Jahren sind die Zuschüsse stark gestiegen. 2013 betrug die Summe 445,9 Millionen Euro.

Ein Titel im Haushalt, mit dem sich sämtliche Ausgaben für die Stiftungen auf einen Blick erfassen ließe, fehlt bisher. Denn die Mittel, deren Verteilung sich an den Durchschnittsergebnissen der letzten vier Bundestagswahlen orientiert, fließen aus den Töpfen von vier Bundesministerien: Entwicklung (340 Millionen Euro), Inneres (160 Mio. Euro), Bildung (71,4 Mio. Euro) und Auswärtiges Amt (87,8 Mio. Euro). Am wichtigsten sind für die Stiftungen die Mittel aus dem Bundesinnenministerium. Es zahlt „Globalzuschüsse“ pauschal für Zwecke der politischen Bildungsarbeit aus. Für die Stipendiaten der Stiftungen wiederum ist das Bildungsministerium zuständig. Zudem überweist das Entwicklungshilfeministerium Gelder etwa für Projekte, die dem Klimaschutz in Schwellenländern dienen sollen. Überdies fördern auch die Bundesländer und Brüssel die Stiftungen. Dank der Zuflüsse sind inzwischen riesige Apparate entstanden: Zusammen beschäftigen die sechs politischen Stiftungen mehr als 2200 Angestellte, im Ausland kommen nochmals etwa so viele „Ortskräfte“ hinzu. Dort werden rund 350 Vertretungen und Büros unterhalten. Zum Vergleich: Deutschland hat rund um den Globus 152 Botschaften.

Die opulente Ausstattung der Stiftungen ist eine Folge des Parteiengesetzes, das mehrmals verschärft wurde. Seitdem kommen die Parteien immer schwieriger an das Geld der Steuerzahler heran. Zuletzt erhielten sie rund 200 Millionen Euro staatliche Zuschüsse – also weniger als ein Drittel dessen, was den Stiftungen in diesem Jahr zufließt. Anders als bei ihnen schreibt das Parteiengesetz eine Obergrenze für die Mittel vor, auch die jährlichen Zuwächse sind strikt gedeckelt. Der Anti-Korruptions-Verein Transparency International und der Bund der Steuerzahler fordern ein Stiftungsgesetz. „Dort müssen das Verfahren der Mittelvergabe, die Höhe und die Zuwachsraten der Mittel transparent und nachvollziehbar geregelt werden“, sagt Reiner Holznagel, der Präsident des Steuerzahlerbundes. Nötig sei eine Stoppregel bei den Zuschüssen. Der Bundesrechnungshof müsse regelmäßig Kontrollen durchführen und nicht bloß prüfen, ob die Mittel korrekt verwendet worden seien.
 

Medium: DIE WELT
Datum: 30.06.2022
Autoren: Martin Lutz, Benjamin Stibi