Die Gräben zwischen der Kerpener Verwaltungsspitze und der Grünen-Fraktion sind tief. Zuletzt reagierte Bürgermeister Dieter Spürck (CDU) mit einer Pressemitteilung auf die Postenschacher-Vorwürfe der Grünen. Für ihre Vorsitzende Annika Effertz steht fest: Spürck verletzt in der Mitteilung seine Neutralitätspflicht. Professor Dr. Markus Ogorek von der Universität zu Köln hat sich diese Pressemitteilung angesehen. Marco Führer sprach mit dem Experte für Kommunalrecht darüber.
Was sagt die Verfassung zur Neutralitätspflicht von Bürgermeistern?
Das Grundgesetz verpflichtet alle staatlichen Stellen dazu, parteipolitisch neutral zu sein. Hierdurch soll die demokratische Willensbildung vom Volk zu den Staatsorganen abgesichert und allen Parteien eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen Prozess ermöglicht werden. Weil Bürgermeister kommunale Wahlbeamte sind, trifft auch sie diese Pflicht.
Darf sich ein Bürgermeister verteidigen, wenn ihn politische Parteien angreifen?
Das Oberverwaltungsgericht Münster sagt: Bürgermeister haben eine prinzipielle Äußerungsbefugnis zu Angelegenheiten, die ihre Gemeinde betreffen. Das umfasst die Befugnis, sich offensiv zu äußern. Dies meint aber nicht, dass Bürgermeister völlig frei in ihren Äußerungen sind. Es ist wichtig zu unterscheiden, ob sich der Bürgermeister als Amtsträger – und damit als Organ der Gemeinde – oder als einfacher Kommunalpolitiker zu Wort meldet. In seiner amtlichen Funktion ist er zu Neutralität und Sachlichkeit verpflichtet. Er kann sich nicht auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen, da er als staatliches Organ handelt. Amtliche Meinungsäußerungen von Bürgermeistern müssen sich deshalb immer auf einen Tatsachenkern zurückführen lassen. Es gibt kein Recht auf einen rhetorischen Gegenschlag.
Welche Rolle nimmt ein Bürgermeister ein, der unter dem Logo der Stadt Parteien angreift?
Wenn ein Bürgermeister sich in einer amtlichen Pressemeldung zu Wort meldet, spricht er unzweifelhaft in amtlicher Funktion und ist an das Neutralitätsgebot gebunden. Dasselbe gilt übrigens für Äußerungen in Stadtratssitzungen.
Gibt es in der Pressemitteilung des Kerpener Bürgermeisters Passagen, die Sie für bedenklich halten?
Auffällig ist vor allem die Wortwahl. Es beginnt mit der Wendung "womöglich", also einer Mutmaßung. Dann folgen rhetorische Fragen. Bedenklich ist, dass sachliche Kritik der politischen Konkurrenz entwertet wird – durch Formulierungen wie "merkwürdiges Demokratieverständnis", "abstruses Zitat" und "es drängt sich der Verdacht auf". Auf keinen Fall zulässig sind falsche Tatsachenbehauptungen. Die scheint es in einem Punkt aber zu geben. So wird auf das grüne Parteibuch von Frau Effertz Bezug genommen, das sie zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben gar nicht besessen hat. Ein ungünstiges Bild entsteht ferner dadurch, dass die Personalangelegenheiten der Stadt mit der Kontroverse um die Manheimer Bucht vermengt wurden.
Wie bewerten Sie die Äußerungen des Kerpener Bürgermeisters Dieter Spürck?
Menschlich ist eine gewisse Aufregung durchaus verständlich. Im politischen Tagesgeschäft der kommunalen Ebene sind die nötige Distanz und Professionalität nicht immer gegeben. So kann schnell etwas gesagt werden, was vielleicht einen Tag später bereits bereut wird. Bürgermeister müssen aber verstehen: Die Kommune ist nicht ihr Sprachrohr für politische Scharmützel - sondern er vertritt vielmehr die Kommune nach außen und hat eine dienende Funktion. Ob die Äußerungen im konkreten Fall rechtlich zu beanstanden sind, kann letztlich natürlich nur ein Gericht verbindlich entscheiden.
Medium: Kölner Stadt-Anzeiger
Datum: 14.09.2023
Autor: Marco Führer (Interview)