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Anschlagsplan in Berlin: Brauchen Geheimdienste mehr Rechte?

Die Hinweise auf Anschlagspläne gegen Israels Botschaft kamen offenbar von ausländischen Geheimdiensten, wieder einmal. Wie können Deutschlands Geheimdienste selbständiger werden?

 

"Ich danke unseren Sicherheitsbehörden", meldete sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Sonntag auf X zu Wort und lobte deren Eingreifen. Sie hatten am Samstagabend in Bernau bei Berlin einen 28-Jährigen festgenommen, der als IS-Unterstützer einen Anschlag auf die israelische Botschaft geplant haben soll. Doch dass es überhaupt zu dem Zugriff kommen konnte, war offenbar konkreten Hinweisen ausländischer Nachrichtendienste zu verdanken, berichten tagesschau.de und der Spiegel – und nicht den deutschen Diensten.

Forderung nach Zeitenwende bei Geheimdiensten

Deren Chefs hatten erst vor einer Woche im Bundestag mehr Befugnisse und weniger Bürokratie gefordert, um schlagkräftiger zu werden. "Mehr operative Beinfreiheit", nannte es der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) Bruno Kahl – angesichts der Bedrohung durch islamistische Terrorgruppen, aber insbesondere auch angesichts hybrider Kriegsführung durch Russland. Konkret geht es auch um die politische Schwerpunktsetzung bei der geplanten zweiten Reform des Nachrichtendienstrechts: Effektive Arbeit in effizienten Strukturen statt dem Ausbau der Kontrolle über ihre Tätigkeit wünschen sich die Dienste. Doch worin genau soll die geforderte Beinfreiheit bestehen? Die deutschen Geheimdienste sind an Recht und Gesetz gebunden. Strafbare Erpressungen etwa, um an Informationen zu kommen, dürfen Agenten weder im In- noch im Ausland einsetzen. Auch die Kontrolle über ihr Tun ist verfassungsrechtlich zwingend vorgeschrieben.

Bürokratieabbau und erweiterte Befugnisse

An diesen Grundsätzen wollen, soweit ersichtlich, auch die Befürworter einer Zeitenwende nicht rütteln, sondern an anderen Stellschrauben drehen: Aufwendige Vorab-Genehmigungsverfahren für Maßnahmen etwa sollen reduziert werden, ebenso Dokumentationspflichten, die viel Personal binden. Gerhard Conrad, ehemaliger BND-Agent und Geheimdienstexperte, hält außerdem für wichtig, dass es einfacher wird, Informationen an ausländische Partnerdienste zu übermitteln. Schließlich wollten die deutschen Geheimdienste selbst weiter von Hinweisen profitieren: "Eine wirksame Zusammenarbeit mit befreundeten ausländischen Diensten kann auf Dauer nur gelingen, wenn wir methodisch auf Augenhöhe agieren können." Beispielsweise sei es "kaum zielführend", wenn vor der Informationsweitergabe "komplexe und langwierige Entscheidungsverfahren mit offenem Ausgang" zu durchlaufen sind -während sich die Gefährdungslage häufig schon weiterentwickelt, meint Conrad. Er fordert zudem erweiterte Möglichkeiten zur Datengewinnung und -auswertung. Den größten Aufholbedarf sieht er im Bereich Online-Durchsuchung, etwa von Chatgruppen. Auch brauche es mehr Möglichkeiten, Verkehrsdaten länger zu speichern, "um zum Beispiel transnationale terroristische Netzwerkstrukturen zu identifizieren und aufzuklären", sagt Conrad. "Wir brauchen Waffengleichheit mit staatlichen wie nicht-staatlichen Gegnern und Gefährdern."

Rechtliche Spielräume sind begrenzt

Doch das Bundesverfassungsgericht hat in seiner bisherigen Rechtsprechung stets den Schutz von Grundrechten der von Geheimdienstmaßnahmen betroffenen Bürger, auch solcher von Ausländern im Ausland, betont. Die Linie des Gerichts: Der Gesetzgeber darf Nachrichtendiensten zwar Befugnisse einräumen, muss die Voraussetzungen für Eingriffe in Grundrechte aber genau regeln. Maßnahmen müssen beaufsichtigt, teils auch vorab von Richtern genehmigt werden. Auf Grundlage der Rechtsprechung hat sich ein komplexes Kontrollsystem entwickelt. "Für die Online-Durchsuchung, zum Beispiel das Auslesen von Handys, durch den Verfassungsschutz etwa gilt, dass eine unabhängige Stelle, also etwa ein Gericht, die gewonnenen Daten vor der Sichtung durch den Verfassungsschutz selbst durchgehen und freigeben muss", erklärt Professor Markus Ogorek, Rechtswissenschaftler mit Schwerpunkt Nachrichtendienstrecht an der Universität zu Köln. "Angesichts dieser strengen Verfahrensvorgaben sagen viele: Das Instrument ist faktisch tot."

Experte: Gegen-Spionage beim BND stärken

Was also bleibt, will man die Dienste angesichts russischer hybrider Kriegsführung stärken?Beim Bundesnachrichtendienst sieht Jurist Markus Ogorek Bedarf im Bereich der sogenannten Gegen-Spionage. Dabei geht es darum, Erkenntnisse über die Geheimdienste fremder Mächte zu gewinnen, etwa indem Methoden und Organisationsstrukturen russischer Dienste in Moskau aufgeklärt werden. Die entsprechende BND-Abteilung wurde in den 2000er Jahren abgeschafft und müsse seit einigen Jahren mühsam wieder aufgebaut werden, so Ogorek. Auch der für den Schutz der Bundeswehr zuständige MAD könne gestärkt werden, besonders für den Bereich der Drohnenabwehr über Bundeswehr-Liegenschaften, meint Ogorek. Und er plädiert auch für ein Überdenken der verfassungsgerichtlichen Schwerpunktsetzung: "Dass wir immer stärker auf Partnerdienste im Ausland angewiesen sind, deren Vorgehensweise wir unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht kontrollieren können, sollte auch das Bundesverfassungsgericht bei seiner Maßstabsbildung nachdenklich stimmen."

Effizienten Staatsschutz angesichts neuer Bedrohungen mit dem im Rechtsstaat notwendigen Schutz von Grundrechten abzuwägen, bleibt die Herausforderung auch bei neuen Regeln für die deutschen Geheimdienste.
 

Medium: ZDFheute
Datum: 21.10.2024
Autor: Samuel Kirsch