Münster. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat den Rechtsstreit gegen die AfD auch in der zweiten Instanz gewonnen. Das bedeutet das Urteil für die AfD und für die Arbeit des deutschen Inlandsnachrichtendienstes: Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der AfD und ihrer Jugendorganisation in allen drei Verfahren zurückgewiesen. Das heißt: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die Partei und die Organisation Junge Alternative auch weiterhin als Rechtsextremismus-Verdachtsfall einstufen und beobachten sowie die Öffentlichkeit entsprechend darüber informieren. Auch die Einstufung des offiziell aufgelösten „Flügels“ der AfD zuerst als Verdachtsfall und dann als gesichert extremistisch hat das Gericht bestätigt.
„Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes ist kein zahnloser Tiger“, sagte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des fünften Senats am OVG Münster am Montag in seiner Urteilsbegründung. Sie solle aufmerksam und durchsetzungsstark sein – „aber sie beißt nur im nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren“. Bei der AfD halten Buck und seine Richterkollegen eine solche Wachsamkeit für nötig.
AfD weiterhin als „extremistischer Verdachtsfall“ eingestuft
Es gebe „hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass die AfD „Bestrebungen verfolgt, die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das Demokratieprinzip gerichtet sind“, heißt es in der Urteilsbegründung weiter. Das Gericht sieht zumindest den begründeten Verdacht, dass maßgebliche Teile der Partei das politische Ziel verfolgen, „deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen rechtlich abgewerteten Status“ zuzuerkennen. Nach Ansicht des Gerichts ist es zwar noch nicht allein verfassungswidrig, einen „ethnisch-kulturellen Volksbegriff“ zu verwenden – sehr wohl aber, damit eine politische Zielsetzung zu verknüpfen, mit der die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen infrage stehe.
Außerdem gebe es „hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind“. Darüber hinaus lägen „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte, wie vom Bundesamt (für Verfassungsschutz) angenommen“.
Darüber haben die Richter nicht geurteilt
Buck erklärte auch, worüber das Oberverwaltungsgericht nicht befinden sollte und deshalb auch kein Urteil gefällt habe: über die Frage, ob die AfD nicht längst mehr als ein Verdachtsfall ist – eine „gesichert extremistische Bestrebung“.
Bei der Verdachtsfallbeobachtung durch den Verfassungsschutz verhalte es sich so, wie wenn die Polizei vor einer verschlossenen Wohnungstür stehe, hinter der ein Feuermelder piept: Sie dürfe im Zweifelsfall in die Wohnung eindringen, um zu überprüfen, ob es wirklich brennt. Ebenso dürfe das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD aufgrund hinreichender Verdachtsmomente beobachten, um dann festzustellen, ob sie wirklich „gesichert extremistisch“ ist.
Das sind die unmittelbaren Auswirkungen des Urteils
Zunächst ändert sich durch das Münsteraner Urteil nichts. Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD und die Junge Alternative weiterhin beobachten und dabei auch nachrichtendienstliche Mittel wie Observationen, verdeckte Mitarbeiter oder V-Leute einsetzen. Das Bundesamt darf die AfD auch weiter in seinen Verfassungsschutzberichten nennen und öffentlich über die Einstufung als „Verdachtsfall“ sprechen.
Das bedeutet das Urteil für den Umgang des Verfassungsschutzes mit der AfD
Das Urteil war auch mit Blick auf eine mögliche Hochstufung der AfD durch den Verfassungsschutz und ein mögliches Parteiverbotsverfahren mit Spannung erwartet worden. „Es dürfte übereilt sein, einen Finanzierungsausschluss oder gar ein Parteiverbot der AfD in greifbare Nähe gerückt zu sehen“, sagte Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „In Karlsruhe ginge es nicht wie bei einer Verfassungsschutzeinstufung um tatsächliche Anhaltspunkte für einen Verdacht, sondern um den Vollbeweis, dass die Partei in ihrer gesamten Breite verfassungsfeindliche Positionen vertritt“, erklärte er. Der Beweis dafür falle trotz der Radikalisierung der AfD schwer.
„Anstehen dürfte stattdessen allerdings die Hochstufung der AfD zur ‚gesichert extremistischen Bestrebung‘“, vermutete Ogorek. „Im BfV wartete man im Grunde nur noch auf die Münsteraner Erwägungen und ergänzt zudem die immer umfangreicheren Russland- beziehungsweise China-Verbindungen als zusätzlichen Anhaltspunkt.“ Er erwarte, dass der Verfassungsschutz eine solche Hochstufung noch vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Herbst anstrebt. Ob das gelinge, hänge maßgeblich vom Zeitpunkt der vollständigen Urteilsbegründung des Gerichts ab.
Ob es nicht nur genügend Belege für eine Einstufung als Verdachtsfall, sondern auch für eine etwaige Hochstufung sieht, ließ Richter Buck in seiner mündlichen Urteilsbegründung noch offen. Manche Beobachter hatten sich in dieser Frage zumindest einen Fingerzeig des Gerichts erhofft. Tatsächlich stellte Buck jedoch nur klar, dass das Gericht über diese Frage nicht befunden hat.
Das Urteil sei dennoch bereits ein „Erfolg für den gesamten Rechtsstaat, für die Demokratie und für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung“, sagte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am Montag in Köln. „Im Ergebnis hat das Gericht unsere Bewertung vollumfänglich bestätigt. Das Gericht hat auch bestätigt, dass das Bundesamt und sein Präsident berechtigt sind, die Öffentlichkeit über die Einstufung der AfD als Verdachtsfall zu informieren, da die bestehenden Anhaltspunkte hinreichend gewichtig sind.“
So reagiert die AfD auf das Urteil
Die AfD-Vorstandsmitglieder Roman Reusch und Peter Boehringer versuchten in Münster, die Relevanz des Urteils kleinzureden. „Hier ist heute eigentlich gar nicht viel passiert, hier ist ein Verdachtsfall bestätigt worden“, sagte Boehringer. Mit diesem Maßstab ließen sich Verdachtsmomente in fast jeder Partei finden.
Die AfD wirft dem Gericht vor, die zahlreichen Beweisanträge der Partei unzulässigerweise abgewiesen zu haben. Der Vorsitzende Richter habe „die Sache nicht ernst genug genommen“, kritisierte Boehringer. Andere AfD-Politikerinnen und -Politiker gingen mit ihren Äußerungen noch deutlich weiter: „Es ist ein Unrechtsurteil“ schrieb Beatrix von Storch auf X und sprach von einer „Rechtsstaatssimulation“. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier schrieb auf Facebook, das Urteil habe nichts zu bedeuten.
„Nancy Faeser und ihr treuer Untertan Thomas Haldenwang bekämpfen die Opposition mit allen Mitteln und schaffen notfalls die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre willkürlichen Kriminalisierungsmaßnahmen“, meinte er weiter. Der Bundestagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt schrieb ebenfalls auf Facebook: „Es wirkt so, als hätte dieses Gerichtsurteil von Anfang an festgestanden. Die Einstufung der AfD soll die einzig echte Opposition verächtlich machen.“ Der AfD-nahe „Deutschland-Kurier“ bezeichnete die „NRW-Justiz als Büttel des Verfassungsschutzes“ und schrieb von einem „Willkür-Urteil“.
So geht es in dem Verfahren nun weiter
Das OVG Münster hat zwar keine Revision gegen das Urteil zugelassen, weil es keine ungeklärten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung mehr sieht. Die AfD hat allerdings bereits angekündigt, dagegen Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzulegen. Dafür muss das Münsteraner Gericht nun aber zuerst die umfassende schriftliche Urteilsbegründung ausarbeiten. Das dürfte mindestens mehrere Wochen dauern. Theoretisch hat das Gericht dafür bis zu fünf Monate Zeit.
Medium: RedaktionsNetzwerk Deutschland
Datum: 13.05.2024
Autor: Felix Huesmann